Sind Sie denn mit Homöopathie nie mehr krank?

Sprechstunde_geschlossenDiese Frage stellte mir kürzlich eine Patientin. Sie beschäftigte mich. Nicht, weil ich sie mit „doch“ beantworten musste, sondern aus zwei anderen Gründen.
Erstens: Ist der Anspruch an die Homöopathie tatsächlich so hoch, dass wir erwarten, nie mehr krank zu werden, wenn wir in homöopathischer Behandlung sind?
Und zweitens: Was bedeutet denn Krankheit und kann es unser Anspruch sein, zu leben ohne jemals krank zu sein?

Wenn das Erstere der Fall ist, dann sind wir Homöopathen unter einem noch grösseren Druck als bisher angenommen. Nicht nur müssen wir nachweisen, dass Homöopathie etwas bewirkt, wenn wir krank sind. Nein, jetzt müssen wir auch noch alle möglichen Krankheiten der Zukunft von einem Menschen fernhalten können. Wenn eine Therapieform nur dann als wirksam gilt, ja, dann verstehe ich, dass wir einen schwierigen Stand haben.
Um ehrlich zu sein, hatte ich diesen Anspruch früher selbst auch. Es war eine persönliche Niederlage, wenn ein Patient während einer homöopathischen Behandlung krank wurde. „Aber es geht ihm doch allgemein besser, weshalb wird er jetzt krank? Was habe ich falsch gemacht?“ Ein gefährlicher Gedankengang. Auch wenn eine Fehlersuche sicherlich hilfreich ist, um eine Behandlung zu verbessern und zukünftige Behandlungsfehler zu vermeiden, so kann diese Frage auch in Abgründe und zu einer falschen Verantwortlichkeit führen, die weder dem Patienten noch dem Therapeuten nützt.
Nach Jahren der Praxis musste ich dann einsehen, dass ich nicht Gott bin (etwas, was meine Mitmenschen vermutlich schon länger wussten). Dies war ein ernüchternder Moment, aber ein erleichternder zugleich. Seither stelle ich mir zwar immer noch die Frage „…weshalb wird er jetzt krank?“ Aber sie wird nicht mehr zwingend gefolgt von „Was habe ich falsch gemacht?“, sondern von „Was bedeutet das und was machen wir daraus?“

Was bedeutet Krankheit?

Darüber, was Krankheit ist, wird offenbar sowohl im medizinischen als auch im rechtlichen Bereich immer noch diskutiert und die jeweiligen Definitionen werden laufend angepasst(1). Der Grund dafür ist, dass Krankheit ein sehr weiter Begriff ist, der sehr viele Faktoren berücksichtigen muss. Nicht zuletzt ist Krankheit auch sehr subjektiv. So gibt es Menschen, die keinen medizinisch erklärbaren Grund haben, aber sich dennoch krank fühlen. Andererseits gibt es Menschen, die jeden erdenklichen medizinischen Grund hätten, und es dennoch nicht tun.

Aber mit der Frage, was denn Krankheit bedeute, meinte ich nicht die Definition, sondern deren Bedeutung in unserem Leben allgemein. Ausserdem gehe ich davon aus, dass meine Patientin grundsätzlich an Infektionskrankheiten dachte, als sie ihre Frage stellte. An Krankheiten also, die labortechnisch von Viren, Bakterien und dergleichen hervorgerufen werden. Daher beschränke ich mich im Folgenden darauf.

Krankheit ist ein Bestandteil des Lebens und Zeichen unserer Vergänglichkeit. Manchmal scheinen wir das zu vergessen. Mir scheint, dass Sterben und krank sein zu einem Versagen geworden ist, anstatt etwas zu sein, das mit dem Leben natürlicherweise einhergeht. Leider vergessen wir dabei, was Darwin schon länger herausgefunden hatte: „Survival of the fittest“. Dies heisst nicht, wie so oft falsch übersetzt, „Überleben des Stärksten“, sondern „Überleben des Angepasstesten“. Muskeln trainieren bringt also nicht viel. Trainieren Sie, sich anzupassen. Anpassen heisst, sich auf veränderte Umstände einzustellen. Genau das machen auch Krankheitserreger. So denkt zum Beispiel der Grippevirus: „Ach Herrje, jetzt kennen uns die Abwehrzellen hier schon und bekämpfen uns. Aber kein Problem, verändern wir doch einfach schnell unsere Oberfläche und schon gehen wir wieder unter dem Radar durch und machen diesen Körper mal so richtig krank.“
Abgesehen davon, dass Viren höchstwahrscheinlich nicht im Stande sind, einen so langen Satz – oder einfach überhaupt – zu denken, ist ihre Absicht auch nicht unbedingt, uns krank zu machen und umzubringen. Sie brauchen uns, um sich zu vermehren. Sind wir tot, sind sie es auch. Die Überlebenschancen beider Seiten wird also gesteigert, wenn wir uns aneinander anpassen und uns in einem halbwegs ausgeglichenen Zustand entgegenkommen. Dies geschieht erwiesenermassen auch. Nur weil ein Erreger in uns ist, heisst das noch lange nicht, dass wir davon krank werden. Im Falle der Grippe zum Beispiel zeigen nur ungefähr ein Viertel der Befallenen Krankheitssymptome (2). Auch gibt es Leute, welche die Halswehbakterien (Streptokokken) ständig in sich tragen und selten mal Halsweh haben davon(3). Irgendwie schafft es das Immunsystem, die Erreger in Schach zu halten, so dass keine Krankheitssymptome auftreten und andererseits schafft es der Erreger, sich vom Immunsystem nicht ganz unterkriegen zu lassen. Dies zeigt, dass wir es gewohnt sind, mit potentiellen Krankmachern zusammenzuleben. Unser Immunsystem absolviert also tägliches Training, um fit – also angepasst – zu bleiben.

Zurück zur eigentlichen Frage meiner Patientin: Wir leben in einer Umwelt mit vielen Stressfaktoren. Arbeit, Familie, Umweltgifte, Geld und viele andere Sorgen machen es nicht einfach, ein unbelastetes Leben führen zu können. Manchmal können wir besser damit umgehen, manchmal etwas schlechter. Ich selbst habe sowohl an mir als auch an meinen Patienten die Erfahrung gemacht, dass die Homöopathie uns unterstützt, im Allgemeinen fitter für das Leben zu sein und somit auch weniger oft krank zu werden. Aber das Leben wird immer eine Auseinandersetzung mit dem Innen und dem Aussen sein und so werde auch ich manchmal krank. Aber nebst dem, dass ich gelernt habe, dass ich nicht Gott bin, habe ich auch gelernt, dass wenn ich krank bin, ich erstens meine aktuellen Stressfaktoren überdenke und ich zweitens meinem Immunsystem die Ruhe gönne, sich an die Erreger anzupassen.

Quellen

(1)Wikipedia: Krankheit, https://de.wikipedia.org/wiki/Krankheit (2016)
(2)Hayward et al: Comparative community burden and severity of seasonal and pandemic influenza: results of the Flu Watch cohort study, http://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(14)70034-7/abstract (2014)
(3)Group A streptococcal carriage: Can the troll be tamed?, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2851340/ (1998)